In der indischen Tradition hat Yoga eine etwa 5000-jährige Geschichte. Bei Ausgrabungen in Mohenjo-Daro wurden Siegel aus dem 3. Jahrtausend vor Chr. gefunden, auf denen figürliche Abbildungen zu sehen sind, die als Yoga-Haltungen gedeutet wurden. Zeugnisse der schriftlichen Überlieferung gehen bis in das 5. Jhd. vor Chr. zurück: Hier sind es die Upanischaden, in denen sich deutliche Hinweise auf Yoga finden lassen. Der Yoga als Methode der inneren Sammlung und Konzentration konnte sich auf Grund seiner Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichsten Weltbilder nicht nur bis in die Gegenwart erhalten, er konnte selbst westliche Übungsformen assimilieren und sich über Kolonisation und Globalisierung in die ganze Welt verbreiten.

Die Lehre / Der Text

Ein wesentliches Merkmal der indischen Tradition ist die mündliche Überlieferung. Noch heute spielen im Yoga bei der Weitergabe von Texten das Auswendiglernen und Rezitieren eine große Rolle. Die schriftlich überlieferten Texte werden immer mit umfangreichen Erläuterungen des Lehrers vermittelt. Oft sind es erst diese Erläuterungen und Kommentare, die einen Text verständlich machen und ihm eine bestimmte Richtung geben. Die Sprache der Überlieferung ist Sanskrit.

Maṅgala / Anrufung des Patañjali

yas tyaktvā rūpam ādyaṃ prabhavati jagato ‘nekadhānugrahāya
prakṣīṇakleśarāśir viṣamaviṣadharo ‘nekavaktraḥ subhogī /
sarvajñānaprasūtir bhujagaparikaraḥ prītaye yasya nityaṃ
devo ‘hīśaḥ sa vo ‘vyāt sitavimalatanur yogado yogayuktaḥ //

Möge er, der sich vollkommen verwandelt hat, der jetzt seine außergewöhnlichen Fähigkeiten nutzt, um der Welt auf vielfache Weise die Gunst zu erweisen, — er , mit seiner schönen Haube und seinen vielen Mündern, im Besitz von tödlichen Giften, doch vernichtend die Menge der Hindernisse, — er, die Quelle allen Wissens und umringt von Schlangen, die ununterbrochen Glückseligkeit erzeugen, — möge er, der heilige Herr der Schlangen, Dich beschützen, mit seinem weißen, makellosen Körper, — er, der Spender der Konzentration (Yoga), der selbst konzentriert ist in Konzentration.

Das Yoga-Sūtra des Patañjali

Der grundlegende Text ist das Yoga-Sūtra des Patañjali. Auch dieser Text geht auf die mündliche Überlieferung zurück. Er findet im 5. Jhd. nach Chr. seine schriftliche, bis heute überlieferte Ausprägung: Yoga als ein Weg zur Meditation. Das Yoga-Sūtra ist die systematische Ausarbeitung des Yoga als eine Meditationsmethode.

Die Lehrer

Tirumalai Kṛṣṇamāchārya

Der Name Kṛṣṇamāchārya ist eng mit der Wiederbelebung und Weiterentwicklung der indischen Yogatradition verbunden.Kṛṣṇamāchārya lebte von 1888 bis 1989. Es wird als sein großes Verdienst gesehen, orthodoxe Auffassungen immer wieder auf ihre Lebendigkeit hin überprüft zu haben. Er war einer der ersten, der Frauen und Kinder im Yoga unterrichtete, er akzeptierte nicht-indische Schüler und war in der Lage, Yoga unabhängig von religiösen Überzeugungen zu vermitteln. Schüler Kṛṣṇamāchāryas, die auch im Westen einen hohen Bekanntheitsgrad erreichten und eigene Yogarichtungen begründeten, sind B.K.S. Iyengar, Patthabhi Jois und T.K.V. Desikachar.

T.K.V. Desikachar

Desikachar war ein Sohn Kṛṣṇamāchāryas. Er lebte von 1938 – 2016. Nach einem Ingenieurstudium widmete er sich ganz der Yogaausbildung bei seinem Vater. Als Lehrer betonte er besonders den Aspekt der Individualisierung und Anpassung der Yoga-Praxis. Er unterrichtete Yoga immer in engem Bezug zum Yoga-Sūtra. Martin Soder und Imogen Dalmann waren direkte Schüler Desikachars.

Martin Soder / Imogen Dalmann

Die Offenheit Desikachars für westliche Erklärungsmodelle in Medizin und Wissenschaft, machten es Imogen Dalmann und Martin Soder möglich, ihr eigenes Potential im Prozeß der Aneignung des Yoga zu entwickeln.Sie gründeten 1990 das Berliner Yoga Zentrum (BYZ), dessen Schwerpunkt der therapeutische Yoga war, Yoga als Heilkunst. Der Traditionslinie Kṛṣṇamāchārya/ Desikachar eng verbunden, schufen Soder und Dalmann ein eigenes System der Aus- und Weiterbildung von Yogalehrern. Die letzte Ausbildung am BYZ endete 2021.

Viniyoga

Der Begriff Viniyoga wird benutzt, um eine bestimmte Art des Unterrichts zu kennzeichnen: Oberstes Prinzip ist die Anpassung der verschiedenen Yoga-Techniken an den jeweils Übenden. Eine Yoga-Praxis wird so entwickelt, daß die einzelnen Schritte sinnvoll aufeinander abgestimmt sind. Die große Variationsbreite der Techniken ermöglicht einen vielfältigen Gebrauch.